Jung und die Märchen

Jung distanziert sich vom Triebmodell und dem Persönlichkeitsmodell Freuds, indem er Ergänzungen schafft. Für ihn gibt es keine Veranlassung, menschliche Phantasie auf das Triebgeschehen zu reduzieren. Phantasievorstellungen hält er für ebenso primär, wie Trieb und Instinkt. In jedem einzelnen Unbewußten – und so ein kollektives Unbewußtes bildend – existieren eine regulierende Instanz, „Urbilder“ mit gleicher symbolhafter Bedeutung. Die anordnende und regulierende Instanz im Unbewußten ist nach Jung der ARCHETYPUS [griech. „Das Zuerstgeprägte“]

Archetypen beeinflussen als zeitlose und vererbliche Strukturen das Verhalten und Erleben des Menschen.

Jung fiel an sich selbst und an Geisteskranken auf, daß sich in Dokumenten und Bildern immer wieder erstaunliche Parallelen zu Märchen und Mythen, sowie zu Riten der Naturvölker finden ließen. Dies führte zu der Annahme, daß allem ein gemeinsames kollektives Verhalten (Verhaltensmöglichkeiten) zugrunde liegt, die sich in JEDEM Leben realisieren.

Das Märchen stellt – im Gegensatz zum Traum – kollektive seelische Prozesse dar.

 

Der Jung'sche Ansatz

* Die Gestalten und Ereignisse entsprechen archetypischen psychologischen Phänomenen

* Das Märchen deutet eine höhere Persönlichkeitsstufe an.

 

Verena Kast: „In der Jungschen Schule betrachten wir das Märchen als symbolische Darstellung von allgemeinmenschlichen Problemen und von möglichen Lösungen dieser Probleme.“

Bettelheim sieht dies in Bezug gerade auf die Märchenarbeit mit Kindern ähnlich und legt dies auf den Umgang mit Märchen in der heutigen Zeit um:

„Oberflächlich betrachtet lehren Volksmärchen wenig über die Verhältnisse des modernen Lebens in der Massengesellschaft,“ ABER: „über die inneren Probleme des Menschen und über die richtigen Lösungen für seine Schwierigkeiten in jeder Gesellschaft erfahren Kinder und Erwachsene mehr als durch Geschichten anderer Art.“

Interpretiert man nun ein Märchen in Hinblick auf Lösungsmöglichkeiten für das eigene Selbst, so bietet es sich an, zunächst nach einer Verkettung der Bilder zu streben. Jung benennt dies wie folgt:

„Das Märchen beschreibt isolierte Figuren mit Kerneigenschaften, die mit anderen Figuren im Zusammenspiel ein Ganzes ergeben“

Außerdem werden bei den Interpretationen der Märchen die zurückgelegten Wege des Helden, die Situationen und die Symbole betrachtet, die auftauchen oder den Geschehnisverlauf kreuzen.